Helfen im Irak – aber wie und wem?

Die Lage im Irak spitzt sich immer weiter zu. Die Milizen des sunnitisch-dschihadistischen „Islamischen Staates“ (IS, vormals ISIS) gehen mit großer Entschlossenheit und Brutalität gegen ihre politischen und weltanschaulichen Gegner vor. Hunderttausende sind auf der Flucht. Insbesondere das äußerst gewaltsame Vorgehen der IS-Kämpfer gegen die im Norden Iraks angesiedelte religiöse Minderheit der Jesiden – die der IS als „Ungläubige“ erachtet und verfolgt – hat in den letzten Tagen für viel Entsetzen und Empörung gesorgt. Berichte und Bilder von in die Sindschar-Berge geflüchteten und dort von IS-Milizen umzingelten Jesiden, entfachten die ohnehin schwelende Debatte über ein militärisches Eingreifen des Westens aufs Neue. Einen solchen drohenden Genozid dürfe man nicht untätig geschehen lassen, so wird argumentiert. Man müsse den bedrohten Menschen helfen. Neben humanitären Hilfslieferungen an die eingekesselten Jesiden, leiteten die USA am vergangenen Freitag auch begrenzte militärische Luftschläge gegen die IS-Milizen ein. Über ein weitergehendes militärisches Engagement der USA besteht derzeit noch keine Klarheit. Momentan wird vor allem darüber diskutiert, kurdische Einheiten (etwa die Peschmerga, die Armee des kurdischen Autonomiegebiets im Irak), die sich um eine Rettung der Jesiden bemühen und sich auch ansonsten gegen den IS-Vormarsch im Norden des Iraks stellen, mit Waffen zu versorgen.

Auf openDemocracy versucht Aaron Edwards zu erklären, wie der IS überhaupt zu einer so gefährlichen Bedrohung werden konnte. Er nennt die demonstrative Brutalität der IS-Kämpfer, die viele Gegner in die Flucht geschlagen habe. Auch die vom schiitisch dominierten Staat betriebene Ausgrenzung und Benachteiligung der irakischen Sunniten habe die Entwicklung des IS begünstigt. Der IS konnte viele der enttäuschten Sunniten hinter sich scharen oder zumindest für sich gewogen machen. Außerdem habe die Lähmung der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich einer humanitären Intervention den Aufstieg des IS befördert. Edwards plädiert folglich dann auch dafür, dass die internationale Gemeinschaft ihr Zögern nun aufgeben müsse. Humanitäre Hilfslieferungen alleine würden nicht ausreichen, man müsse die verfolgten Menschen im Irak effektiv – und d.h. auch militärisch – schützen und dann überlegen, wie man die insgesamt dramatische Lage im Nahen Osten nachhaltig (re-) stabilisieren könnte.

Auch in Deutschland wird eine Debatte darüber geführt, wie man auf die humanitäre Notlage im Norden Iraks reagieren sollte: mit rein humanitären Mitteln oder auch mit Waffenlieferungen? Sowohl Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatten in Interviews jüngst angedeutet, dass man angesichts der schrecklichen Geschehnisse im Irak auch die Lieferung von Militärtechnik und Waffen nicht ausschließen könne und solle. Dies liegt nun genau auf der schon seit einiger Zeit zu beobachtenden Diskussionslinie, die um die Frage kreist, ob Deutschland international mehr – und v.a. auch militärische – Verantwortung übernehmen sollte.

Thomas Pany stellt auf Telepolis die Frage, an wen Deutschland denn dann gegebenenfalls Waffen liefern sollte; an die Kurden im Norden Iraks oder an die irakische Armee? Beide Möglichkeiten erachtet Pany als problematisch. Die irakische Armee sei intern keineswegs homogen, sondern von diversen, teilweise rivalisierenden Gruppierungen durchzogen. Wenn sich die Desintegration des irakischen Staates weiter fortsetze, könnten auch Teile der dann vom Westen aufgerüsteten irakischen Armee in naher Zukunft (wieder) zu Gegnern werden. Liefere man Waffen an die Kurden, unterstütze man damit wohl auch sehr wahrscheinlich die PKK, die vom Westen als terroristische Organisation geächtet wird. So verständlich der Impuls auch sei, den „Guten“ helfen zu wollen, so schwierig sei er – insbesondere mit Waffenlieferungen – in der Realität umzusetzen.

Günter K.V. Vetter widmet sich auf Karpfenteich dem deutschen Hin- und Hergerissensein zwischen helfendem Impuls und historisch bedingter (militärischer) Zurückhaltung. Es gäbe bei deutschen Waffenlieferungen Vieles abzuwägen: Was, wenn die Waffen in falsche Hände gerieten? Wie würde man nach einem möglichen Sieg über den IS mit den dann sicherlich äußerst selbstbewussten Kurden und deren politischen Bestrebungen umgehen? Stünde ein genereller Sinneswandel im Hinblick auf deutsche Waffenlieferungen (in Krisengebiete) bevor? Wichtige Fragen, für deren Diskussion aber nur wenig Zeit bleibe.

Roberto J. De Lapuente weist auf ad sinistram auf ein ganz anderes Problem im Umgang mit solchen Krisensituationen hin: Er fragt, ob man sich als Blogger (wie auch als „normaler“ Medienrezipient) überhaupt ein Urteil zu Auseinandersetzungen wie im Irak, in Israel oder der Ukraine bilden könne. Schon die etablierten Medien – mit ihren diversen Ressourcen – hätten doch massive Probleme bei der Darstellung von aktuellen politischen Krisenentwicklungen und müssten ständig auf sprachliche Hilfsmittel wie „offenbar“, „mutmaßlich“ oder „angeblich“ zurückgreifen. Wie solle man da wissen, was wirklich passiere, wer verantwortlich oder was Propaganda oder Übertreibung sei? Aus diesem Grund möchte De Lapuente über solches Kriegsgeschehen auch nicht schreiben, sondern vielmehr darüber, was solche Konflikte aus (bzw. mit) unserer Gesellschaft machen. Denn das könne er beurteilen und interpretieren.

Und was macht die momentane Diskussion über das Leid der Jesiden im Norden Iraks – und den möglichen Reaktionen darauf – mit der deutschen Gesellschaft bzw. Öffentlichkeit? Vielleicht verschieben sich die Parameter der deutschen Diskussion darüber, ob und wie man in solchen Situation handeln soll bzw. muss. Wie diese Diskussion weiter geführt werden wird und ob dies zu einem Sinneswandel hin zu einer Unterstützung von vermehrtem – auch militärischem – Eingreifen Deutschlands in der Welt führen wird, gilt es genau zu beobachten.